Am Ende des Mittelalters waren die Böden europäischer Paläste und Kirchen oft mehr als nur funktionale Oberflächen. Sie waren Träger von Botschaften, Symbolen und Geschichten, die von Politik, Religion, Moral und Liebe erzählten. Eine kleine Stadt in der Nähe von Valencia, Manises, spezialisierte sich auf die Herstellung prächtiger Fliesen, die als "sprechende Böden" in ganz Europa bekannt wurden und auch in Portugal weitreichende Verbreitung fanden.
Ein neues Luxusgut für die europäische Elite:
Bis ins 15. Jahrhundert waren keramische Bodenbeläge in Europa eher schlicht und in erdigen Farben gehalten. Die Einführung des weißen Zinnschmelzes und der leuchtend blauen Kobaltmalerei aus Manises stellte eine Revolution dar und wurde schnell zum Statussymbol der Adels- und Kirchenelite.
Diese luxuriösen Fliesen wurden nach Portugal, Frankreich und sogar in den Vatikan exportiert. In Portugal finden sich Überreste dieser Böden in bedeutenden Bauten wie dem Palácio Nacional de Sintra, dem Convento de Jesus in Setúbal und der Quinta da Bacalhôa in Azeitão.
2. Verschlüsselte Botschaften in Ton:
Viele der Motive auf den Fliesen aus Manises sind direkt mit der Ritterliteratur der Zeit verbunden, insbesondere mit dem Roman Tirante el Blanco, der 1490 erstmals in Valencia gedruckt wurde. Dieser Roman beschreibt selbst prunkvolle Paläste mit leuchtenden Böden, die "Blitze und Funken" ausstrahlten – ein Ausdruck für die damals höchste Form von Schönheit in der Architektur.
Die Fliesen enthielten oft verschlüsselte Botschaften, Motti oder moralische Sprichwörter. Eine trägt beispielsweise die Inschrift "fer be" (Gutes tun), eine Aufforderung zu gutem christlichen Handeln. Ein anderes zeigt Fesseln und den Satz "Me face Bevir penado ta libre captividat" (Deine freie Gefangenschaft lässt mich leidend leben), ein häufiges Motiv in der höfischen Liebeslyrik des 15. Jahrhunderts, das die freiwillige Knechtschaft des Verliebten beschreibt.
Heraldische und ornamentale Vielfalt:
Ein großes Genre waren heraldische Fliesen, die die Wappen von Adelsfamilien, Gilden oder Äbten zeigten und so Macht und Zugehörigkeit demonstrierten. Im Museu Regional de Beja allein sind 15 verschiedene heraldische Modelle aus Manises erhalten, die einst den Palácio dos Infantes schmückten.
Neben den heraldischen und didaktischen Motiven gab es eine reiche ornamentale Tradition, die stark vom hispano-islamischen Erbe geprägt war. Motive wie der persische Pinienzapfen, die Blätter des Eichenbaums oder kunstvolle geometrische Flechtbänder (Lacería) wurden übernommen und neu interpretiert. Manchmal wurden sogar arabische Schriftzeichen imitiert, ohne lesbar zu sein, was das kulturelle Miteinander dieser Epoche zeigt.
Das Vermächtnis der Manises-Fliesen
Die Azulejos aus Manises sind wertvolle Relikte einer Zeit, in der Böden nicht nur betreten, sondern auch "gelesen" wurden. Sie zeugen von einer tiefen Verbindung zwischen Kunst, Literatur und Gesellschaft und zeigen, wie ein dekoratives Element zu einem mächtigen Kommunikationsmittel werden konnte. Ihr Einfluss auf die portugiesische Fliesentradition war immens und legte den Grundstein für eine Kunstform, die sich in den folgenden Jahrhunderten zu einem einzigartigen nationalen Kulturgut entwickeln sollte.
Quellen: Berardo, José, Alfonso Pleguezuelo, and José Meco, et al. 2020. Museu Berardo Estremoz: Catálogo. Estremoz: Associação de Colecções